Irgendwann stehen Eltern von Kindern mit schwerer und mehrfacher Behinderung vor der schwierigen Frage:
Wie geht es weiter, wenn das Kind erwachsen wird? Wie und wo wird es leben? Wie wird es arbeiten, wie in seiner Selbstständigkeit gefördert?
Einige dieser jungen Menschen fangen in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung an zu arbeiten. Oder sie gehen in eine Tagesförderstätte. Doch was geschieht mit Kindern, für die diese Angebote nicht geeignet sind?
Der 15-jährige Max Schuller aus Schenefeld zum Beispiel ist so ein „Kandidat“:
Max ist ein lebensfroher Jugendlicher, der gerne mitten im Geschehen ist, aber immer auf eine Assistenz angewiesen sein wird. In einer Werkstatt wird es auf Grund seiner Behinderung keine Arbeit für ihn geben, die er selbstständig erledigen könnte. In der klassischen Tagesförderung wird er sich langweilen und nicht wohl fühlen, weil er immer Kind bleiben wird und die Angebote in den Tagesförderstätten eine andere Klientel ansprechen.
Ein weiteres großes Thema ist die passende Wohnform für junge Menschen wie Max zu finden.
Sicher wird es junge Menschen geben, die weiter bei ihren Eltern wohnen. Aber das funktioniert nicht auf Dauer.
Viele ziehen früher oder später in Wohngruppen oder Heime. Doch leider sind viele dieser Angebote nicht das, was sich die Familien für ihre Kinder wünschen: Oft fehlt es an ausreichend qualifiziertem Personal, an einer familiären Atmosphäre und an dem Willen, neue Wege zu gehen. Die Wünsche und Bedürfnisse der Bewohner*innen bleiben auf der Strecke, ihr Recht auf Selbstbestimmung, dass ihnen als Kind im Elternhaus und in der Schule vermittelt wurde, rückt in den Hintergrund. An seine Stelle rücken strafe Pflege- und Tagespläne denen die Berücksichtigung individueller Ansprüche fehlen, da sie auf Wirtschaftlichkeit ausgelegt sind.
Wie gestallten wir also die Zukunft von Kindern wie Max so, dass ihre Bedürfnisse berücksichtigt werden?
Eltern und Freunde dieser jungen Menschen haben sich nun zusammengeschlossen und den Verein WegGefährten gegründet. Ihr Ziel ist es, gemeinsam ein Wohnprojekt zu schaffen, welches den Interessen und individuellen Ansprüchen der Jugendlichen gerecht wird und Artikel 19 der UN-Behindertenrechtskonvention umsetzt. Dort heißt es unter anderem:
„[..]Das Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben, und nicht verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben.“
Der Verein möchte eine Wohngemeinschaft für diese jungen Menschen gründen, die durch ihre zentrale Lage im Stadtteil Inklusion zur Selbstverständlichkeit werden lässt. Dabei sollen kurze Wege zu Einkaufsmöglichkeiten, kulturellen Angeboten und dem ÖPNV das „Mitten drin“ fördern. Die WG soll sich durch soziale Nähe auszeichnen und Platz für Individualität bieten. Dort darf jeder zusammen mit anderen und für sich sein.
Evelyn Schuller, Mutter von Max, alleinerziehend, berufstätig als Pflegefachkraft und Vorsitzende des Vereins:
„Ich möchte, dass Max auch als Erwachsener die Unterstützung und Zuneigung bekommt, die er jetzt als Jugendlicher von seinem Umfeld erfährt. Ich möchte, dass Max ein glückliches und selbstbestimmtes Leben führen kann. Er soll mit Menschen zusammen Leben, die im vertraut sind und die er mag. Max soll sein Leben selbst gestalten dürfen und nicht nur zur Aufbewahrung in einem Heim untergebracht werden. Gemeinsam mit anderen betroffenen Eltern möchten wir daher ein Wohnprojekt aufbauen, in dem die Bewohner*innen und ihre Angehörigen die Zukunft selbst gestalten können.“
Die Stadt Schenefeld wurde vom Verein nicht ohne Grund für ihr Wohnprojekt ausgewählt:
Als „Stadt der kurzen Wege“ präsentiert Schenefeld sich in ihrem Leitbild offen für neue Wohnformen für Jung und Alt. Außerdem soll die Partizipation von Menschen mit Behinderungen am täglichen Leben der Stadt und an der Gestaltung gesellschaftlicher Prozesse ständig verbessert werden. Die UN-Konvention zur Inklusion ist laut Leitbild der Stadt als Leitfaden zur Schaffung einer barrierefreien Umwelt zu betrachten und entsprechend anzuwenden, für Rollstuhlfahrer und Rollstuhlfahrerinnen soll es außerdem genügend (barrierefreien) behindertengerechten Wohnraum geben. Die Stadt möchte Baugesellschaften, die behindertengerechte Wohnungen schaffen, unterstützten und fordert beim Neubau, den demografischen Wandel zu berücksichtigen und trifft ggf. Einzelfallentscheidungen um eine Heimunterbringung zu verhindern. In einem ersten Gespräch mit der Bürgermeisterin Christiane Küchenhof (SPD) zeigt sie sich begeistert von der Idee. Beste Voraussetzung also, um ein Wohnprojekt wie dieses in Schenefeld anzusiedeln.
Am Gründungstreffen nahmen 15 Eltern und Unterstützer*innen teil. Der Bedarf ist groß und bereits jetzt laufen erste Gespräche mit möglichen Kooperationspartnern und Investoren. Ein Baugrundstück oder eine passende Immobilie fehlen jedoch noch.